Geschwister Scholl Gymnasium
Waldkirch

Naturwissenschaftliches und sprachliches Profil mit bilingualem Zug

(Kein) Besuch des KL-Nazweiler Struthof: Gedenken in Zeiten von Corona?

Eigentlich steht jedes Jahr steht für die 9. Klassen eine Exkursion in das ehemalige Konzentrationslager Natzweiler-Struthof im Elsass an, die ihnen ermöglichen soll, vor Ort Geschichte zu erfahren, sich für nationalsozialistisches Unrecht zu sensibilisieren und sich mit der Bedeutung von Moral und Würde auseinanderzusetzen.

Ungefähr 52 000 Personen von etwa 30 verschiedenen Nationalitäten wurden in das KL atzweiler oder in die  Außenlager deportiert. Mehr als 20 000 kamen nie wieder zurück.

Wir hatten bewusst den 8. Mai, an dem als Tag der Befreiung vom Nazi-Terror vor 75 Jahren gedacht wird, gewählt, doch Covid-19 hat auch hier einen Besuch verhindert.

Doch gerade dieses Virus scheint neben dem postivenm Effekt des „WIRUS“ eine andere Gefahr in sich zu bergen: Fake News und Verschwörungserzählungen rund um das Corona-Virus erreichen derzeit ein Millionenpublikum: im Netz, auf der Straße und im Bekanntenkreis. Die einfachen Erklärungen funktionieren darüber, einen Sündenbock zu benennen, was den Weg ebnet in antisemitische und rassistische Weltbilder. Und das führt wiederum zu konkreten Angriffen auf konkrete Gruppen: Jüdinnen und Juden, asiatisch gelesene Personen, Asylsuchende, Menschen mit Einwanderungsgeschichte, Wissenschaftler*innen sind betroffen. Oft wirken solche Erzählungen wirken harmlos oder gar skurril. Aber sie aber gefährlich - deshalb ist es wichtig zu widersprechen, die Augen zu öffnen und auch den mahnenden Blick zurück in die Vergangenheit zu wagen.

 

Folgende Zeilen, verlesen wir meist bei unserem Besuch vor dem Tor, dass uns in Lager führt:

Vor uns, etwas zur Linken, zwei Reihen von schwarzen Baracken, die aufeinander zu stehen scheinen, so steil ist der Hang, und von einem doppelten mehrere Meter hohen Zaun aus dichtem Stacheldraht umgeben sind, der eher an ein Fischernetz oder ein Spinnennetz erinnert. Ein Lager, daran besteht kein Zweifel. Hier im Elsass, und so nah an Straßburg! Kräftige Projektoren leuchten die ganze Fläche mit einem nackten und fahlen Licht aus. Wir gehen hinein und auf Grund des Hangs haben wir das Gefühl eines Abstiegs in die Hölle. Gnade dem, der unterwegs hinfällt. Unsere Peiniger werden ihm sicher nicht verzeihen. Sie brüllen und prügeln immer noch mit der gleichen Energie, dem gleichen sadistischen Vergnügen. Wir sind in einer Art Büro angekommen, die erste Baracke links, wenn man ins Lager kommt. Alle haben vor Angst Knoten im Magen (...). Es ist das Aufnahmebüro, wo wir unsere Identität Bürokraten preisgeben müssen, die offensichtlich genau wie wir Häftlinge sind (...).

(…) Die letzte Baracke unten, nur wenige Meter vom Tannenwald entfernt. Aber das Spinnennetz zwischen ihm und uns zerstört jede Hoffnung auf eine nächtliche Flucht. Man muss den Verstand bewahren. Wir sind jetzt in einem Duschraum angekommen. « Alles nackt ausziehen! Aber schnell!».

Es ist ein anderer Häftling, der uns diesen Befehl gibt. Er ist gut angezogen und wohlgenährt (...). Wir gehorchen in völligem Einklang, so eilig haben wir es, alle diese Beleidigungen, die Schläge, die Schande dieser Erniedrigung abzuwaschen. Ah, wie gut ist dieses wohltuende Wasser! Wir wissen noch nicht, dass es vom Verbrennungsofen geheizt wird, der im Nebenzimmer untergebracht ist, nur eine Wandbreite von uns entfernt (…).

Wir sind Automaten geworden, wir werden Automaten sein. Vor jeden von uns wird ein Haufen Lumpen geworfen. Eine Hose, eine Unterhose, ein Hemd, eine Weste, eine Mütze, zwei Lappen - einer für jeden Fuß - und ein Paar Pantinen, Holzsohlen mit Flechtwerk, um sie an den Füßen zu halten. Ein möglichst bunt zusammengewürfelter Haufen. Es sind alle Farben vorhanden. (…) und absolutes Verbot etwas zu tauschen. Wir sehen jetzt aus wie Vogelscheuchen (…).

Jeder von uns bekommt ein rotes Stoffdreieck mit einem F in der Mitte, und ein kleines weißes Rechteck, auch aus Stoff, mit einer Nummer. Alles muss am nächsten Tag auf die Westen genäht werden, auf der Herzseite (…).

 

Nummern, das ist aus uns geworden. Wir sind keine Männer mehr.

Ich bin nicht mehr Eugène Marlot, ich bin jetzt Matrikel 6149. Es kommt die Zeit des Verfalls. »

 

So beschreibt Eugène MARLOT, ein französischer Deportierter und Mitglied der Résitance die Ankunft im Lager (1). In seinem Gedicht „Sei gegrüßt, Bruder“ richtet er einen Appell an die zukünftigen Generationen:

  

Nein, sag’ nichts, nichts, und geh’ weg,  wenn dies Deine Bestimmung ist.

Ich freue mich für Dich, und Du wirst ein guter Zeuge sein

 

Aber ich flehe Dich an, vergiss nicht

vergiss nichts, niemals, niemals

Und schreie die Wahrheit,  selbst wenn sie stört, selbst wenn sie missfällt

 

Ohne Hass also,

allein aus Gerechtigkeit,

allein aus Menschlichkeit

Dass in der ganzen Welt der Mensch und die Freiheit siegen.

 

In Marlots Gedicht werden die zeitlosen Werte wie die Gleichwertigkeit aller Menschen und der gegenseitige Respekt angesprochen, die wie selbstverständlich in unserem Grundgesetz verankert sind.

Gerade in diesen seltsamen Corona Zeiten wird uns bewusst , dass diese bewusst gelebt und verteidigt werden müssen, damit sich dieses düstere Kapitel unserer Geschichte nicht mehr wiederholen kann.

Es wird uns aber auch bewusst, wie schwer ein digitales Gedenken ist… wie sehr die Anwesenheit der Zeitzeugen dabei fehlt... und morgen?

Wer sorgt dafür, dass Geschichte nicht in Vergessenheit gerät? Leben und Freiheit, dass spüren wir gerade besonders intensiv, sind unser wichtigstes Vermögen. Die Wachsamkeit ist unsere einzige Wache, um dieses Vermögen zu schützen. Kann das diesjährige Gedenken im Internet ein Beispiel für die Zukunft sein? Es muss geprüft werden, welche digitalen Formate angemessen und sinnvoll sind. Denn nichts kann den Besuch in den ehemaligen Konzentrationslagern ersetzen.

Die vorübergehende Zwangsschließung der Gedenkstätten bietet natürlich eine gute Gelegenheit zum Innehalten und Nachdenken. Da die Überlebenden sterben, unsere Lebenswelt sich verändert,  müssen wir uns fragen: „Wie soll das Gedenken in der Zukunft aussehen?"

Der Ausfall der Veranstaltungen zeigt deutlich, dass, solange die letzten Überlebenden am Leben sind, stehen sie im Zentrum des Gedenkens. Die nächsten Jahre sind die letzte Chance für junge Leute, um sie noch kennen zu lernen. Wir am Geschwister Scholl Gymnasium hatte letztes Jahr die Chance, Frau Eva Cohn Mendelsson (* 1931)  die nach Gurs deportiert wurde, als Zeitzeugin zu begegnen.

Dieses Jahr konnte sie nicht kommen, dabei ist ihr Appell:

 

„ES KANN GESCHEHEN.

ES IST GESCHEHEN.

ES DARF NIE WIEDER GESCHEHEN!“

 

so wichtig!

 

Wir haben ihr als Dank eine „Umarmung“ geschickt!

 

 

(1) www.struthof.fr/de/zeugenberichte/zeugenberichte-zumkl-natzweiler/die-ankunft-im-lager/ (24.5.2020) Eugène Marlot, Matrikel 6149, ein französischer Deportierter, Mitglied der Widerstandsbewegung Libération Nord im Departement Côte d'Or, wurde im August 1943 verhaftet und von November 1943 bis September 1944 in Natzweiler inhaftiert.

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